5:45 Uhr, der Wecker klingelt. Die Laufsachen liegen bereit, die Startnummer ist schon am Trikot angeheftet. Ohne Gedränge, in aller Ruhe, beginnt der Tag mit einem leichten Frühstück, dann geht es los. Andere Läufer aus dem Hotel machen sich ebenfalls auf den Weg. Noch ist es etwas frisch, aber es sind max. 23 Grad angekündigt. Kein Wind. Gutes Laufwetter also.
Ein paar Schritte bis zur U-Bahn. Einmal müssen wir umsteigen. Die Masse der Läuferinnen und Läufer wächst, je näher wir dem Startbereich kommen.
7:42 Uhr, wir haben den Platz vor dem Reichstag erreicht. Bei der Einlasskontrolle ein kurzer Blick der Ordner auf das Armband, ein Lächeln, ein kurzes „viel Erfolg“ und schon sind wir auf dem Gelände. Hier sind nur die Sportler selbst zugelassen.
Natürlich sind wir nicht die ersten. Gemeldet sind 44 389 Läuferinnen und Läufer die sich in gut einer Stunde auf die 42,195 Kilometer von Berlin machen wollen.
Überall werden noch schnell Selfies oder Gruppenfotos vor dem Reichstag gemacht, dann geht es auf die Suche nach dem richtigen Zelt für die Kleiderbeutelabgabe.
8:27 Uhr, der Kleiderbeutel ist abgegeben, ich betrete den Startbereich. Auf beiden Seiten der Straße des 17. Juni sortieren sich die Läufer (gemäß ihrer bisherigen Zielzeiten) in die einzelnen Startblöcke ein. Für mich ist es Starblock H für alle die ihren ersten Marathon laufen oder mit Zielzeiten über 4:15 Std.
Um 8:50 Uhr werden dann die Handbiker und Rollstuhlfahrer auf die selben 42,195 Kilometer geschickt die nachher auch die Läuferinnen und Läufer unter die Füße nehmen.
Vom hinteren Startblock aus hat das Warm-Up begonnen – übertragen auf viele Großleinwände bis zur vordersten Startlinie. 44 000 Sportler die sich zur vorgegebenen Choreografie aufwärmen.
Die Spannung im Teilnehmerfeld steigt. Überall lachende und erwartungsvolle Gesichter. Teilnehmer aus 133 Nationen sind hier vertreten. Hier stehen alle Nationen bunt gemischt und friedlich zusammen. Ich höre Gesprächsfetzen in Japanisch, Englisch, Türkisch, Chinesisch, Spanisch, Dänisch…. Neben mir eine brasilianische Dreiergruppe, die mich bittet, noch eben ein Foto von ihnen im Startbereich zu machen. Egal in welcher Sprache: hier versteht jeder jeden.
5 Minuten bis zum Start. Auf den Leinwänden werden noch eben die Eliteläuferinnen und- Läufer vorgestellt.
9:14 Uhr, gemeinsam wird die letze Minute herunter geklatscht.
9:15 Uhr, die erste Welle startet. Die Eliteläufer vorne weg. Alle nachfolgenden Blöcke rücken vor. Gestartet wird in 4 Wellen. Jede Startwelle wird wieder gemeinsam herunter geklatscht.
Die Spannung steigt. Auf den Leinwänden erscheinen die ersten Zwischenzeiten über 5 und 10 Kilometer der Eliteläufer. Das, was auch schon während des ganzen Tages zuvor in der Luft lag, scheint war zu werden. Ein neuer Weltrekord liegt in der Luft.
9:58 Uhr, ich stehe immer noch in meinem Startblock. Der spätere Sieger ist zu diesem Zeitpunkt schon 15 Kilometer gelaufen und auf Weltrekordkurs.
10:05 Uhr, endlich es geht los. Ein kurzer Blick auf die Laufuhr – alles OK. Nur nicht vergessen beim überqueren der Startlinie den Knopf zu drücken. Nach drei Minuten geht es über Startlinie, ich drücke den Kopf an der Uhr. Um 10:08 beginnt mein Lauf.
Soweit der Blick nach vorne geht Läufer, Läufer und noch mehr Läufer. Jeder versucht jetzt ins Rennen zu kommen, die richtige Geschwindigkeit zu laufen. „Nur nicht zu schnell angehen“. Auf den ersten Kilometern nicht zu viele Körner verbrennen.
Ich komme gut ins Rennen. Die ersten Zwischenzeiten passen, ich bin in meinem Tempo gleichmäßig unterwegs.
11:14 Uhr, ich passiere die 10 Kilometer Marke. Etwa 2 Minuten später wird Eliud Kipchoge aus Kenia als neuer Weltmeister über die Ziellinie laufen. 2:01:39 Std. neuer Marathon Weltrekord, 1:18 Min. schneller als der vorherige Weltrekord. Nach meinem Plan werde ich jetzt noch mindestens dreinhalb Stunden unterwegs sein.
11:30 Uhr, von den Zuschauern am Rand werden Plakate hochgehalten: New World Rekord. Eliud Kipchoge from Kenia, 2:01:39
Großer Jubel im Läuferfeld, alle freuen sich dabei zu sein.
Für alle andern geht das Rennen weiter. Die vielen Zuschauer, die vom Start weg den Rand der Laufstrecke säumen und die Läuferinnen und Läufer kräftig anfeuern, die vielen Trommel- und Musikgruppen jedweder Couleur und Stilrichtung die dem Läuferfeld ordentlich einheizen, aber auch die vielen unterschiedlichen Läufer selbst lassen den Marathon nicht langweilig werden.
Inzwischen sind auch die ersten Frauen ins Ziel gelaufen und auch hier gab es ein einmaliges Resultat. Wieder Jubel im Läuferfeld. Die Zuschauer versorgen uns mit allen Infos.
Titelverteidigerin Gladys Cherono (ebenfalls aus Kenia) setzte sich mit einem Streckenrekord von 2:18:11 Stunden durch und erzielte damit auch eine Jahresweltbestzeit. Zum ersten Mal in der Geschichte des Marathon gab es drei Frauenzeiten unter 2:19:00 Std.
Für mich gilt es erst mal wieder einen Schluck Wasser zu trinken. Ich steuere die nächste Verpflegungsstation an. Mit einem aufmunternden Lächeln bekomme ich von einer Helferin einen Becher Wasser gereicht.
Ab Kilometer 25 kann man sich alle 5 Kilometer massieren lassen. Noch tut nichts weh, ich laufe weiter. Von hinten höre ich Gesang, bald überholt mich ein kleiner Japaner mit Baritonstimme der laut „O sole mio“ singend an mir vorbei zieht. In einigen Kilometern werde ich einen Portugiesischen Männerchor überholen, so hört es sich jedenfalls an.
Den Stimmungshöhepunkt der Strecke, bei Km 28, dem Wilden Eber habe ich bereits passiert.
Kilometer 30, noch mal ein Gel einwerfen und einen Schluck Wasser trinken. Noch tut nichts weh,
also lasse ich auch diese Massagemöglichkeit aus, aber jetzt bin ich sicher: Es klappt heute.
Am Rand registriere ich gerade wie ein Zuschauer einem offensichtlich mit Krämpfen geplagten Läufer ein Glas Wasser mit Magnesium anbietet.
Nun geht es über den Kurfürstendamm, ich überhole gerade Cäsar, Asterix und Obelix im Läuferfeld. Die Strecke führt weiter an der Gedächtnis-Kirche und dem KaDeWe vorbei. Ich erreiche die Nationalgalerie, die Staatsbibliothek und die Philharmonie bevor es über den Potsdamer Platz, die Leipziger Strasse, vorbei am Gebäude des Bundesrates wieder in den ehemaligen Ostteil der Stadt geht. Inzwischen bin ich schon an Kilometer 38 vorbei.
Vom Gendarmenmarkt ist es nicht mehr weit bis zum Ziel. Das scheinbar nicht enden wollende Läuferfeld biegt nun auf den Boulevard Unter den Linden ein. Jetzt ist das Brandenburger Tor schon zu sehen.
Die Zuschauer tragen einen förmlich ins Ziel. Vorbei am Hotel Adlon über den Pariser Platz laufe ich durch das Brandenburger Tor. Dem eigentlichen Höhepunkt des Rennens. Knapp 200 Meter hinter dem Tor befindet sich das Ziel. Jetzt ist es sicher: Meinen 14. Marathon habe ich endlich wieder ohne Krämpfe oder anderer Beschwerden ins Ziel gebracht. Alles richtig gemacht!
14:37 Uhr, ich laufe über die Ziellinie. 4:38:38 Std. bin ich gelaufen (Platz 27470). Etwas erschöpft, mit schweren Beinen, aber umso glücklicher lasse ich mir im Ziel meine Medaille umhängen. Die Rückseite der Medaille ziert Eliud Kipchoge als Marathon Olympiasieger 2016. Und ab heute auch Weltrekordhalter im Marathon.
Jetzt schnell ein Selfie für die Frau und die heimische Läufergemeinde, dann kann die Regeneration beginnen. Erst mal ein kühles Bier, kein Wasser – das habe ich auf den zurückliegenden Kilometern genug getrunken.
Der letzte Läufer wird an diesem Tag nach 7:30:15 Std. und die letzte Läuferin nach 7:40:08 registriert. Der erste Läufer ist mit einem neuen Weltrekord von 2:01:39 Std., die erste Läuferin mit einer Jahresweltbestleistung von 2:18:11 Std. ins Ziel gelaufen. Ein perfekter Tag – was alles passieren kann, wenn ein Altenberger von hinten schiebt.